Filmtipp: Wir brauchen keine Eierköpfe

Das letzte Puzzlestück, das zu seiner rückhaltlosen Beschreibung der Krise noch fehlte: Karl Marx (August Diehl) freundet sich 1844 im Pariser Exil mit Friedrich Engels(Stefan Konarske) an. Foto: Kris Dewitte, Neue Visionen Filmverleih
Das letzte Puzzlestück, das zu seiner rückhaltlosen Beschreibung der Krise noch fehlte: Karl Marx (August Diehl) freundet sich 1844 im Pariser Exil mit Friedrich Engels(Stefan Konarske) an. Foto: Kris Dewitte, Neue Visionen Filmverleih

Der aus Haiti stammende Regisseur und Drehbuchautor Raoul Peck betont mit seinem jüngsten Film „Der junge Karl Marx“ dessen zeitloses Gedankengut.

Dass über Karl Marx auch 2017 noch Filme in die Kinos kommen, darf nicht verwundern. Den „jungen“ Jahren, vom Journalisten-Dasein und Exil in Frankreich, über die Gründung der in prekären Verhältnissen lebenden Familie bis hin zur Gründung der Kommunistischen Partei gemeinsam mit Friedrich Engels, hat der Regisseur Raoul Peck seinen jüngsten Film gewidmet. Die Historie wirkt dabei relativ genau umgesetzt und kommt zum Glück ohne Hollywood-Pathos aus.

Bemerkenswert ist, dass sich ein Regisseur – und ehemaliger Spitzenpolitiker –, der ursprünglich aus Haiti stammt, des Marx-Stoffes annimmt. Raoul Peck war in den 1990er- Jahren Kulturminister seines Landes, das mehr Einwohner hat als Österreich und in Mitteleuropa allzu oft nur unzureichend als Erdbeben-geplagtes Armenhaus der Karibik wahrgenommen wird. Pecks Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ war dieses Jahr für den Oscar nominiert. Der farbige Regisseur hat denn auch Elemente seiner eigenen Biographie in „Der junge Karl Marx“ verarbeitet. Er lernte wohl selbst, das Proletariat zu spüren, während er als Taxi-Fahrer in New York City arbeitete; anschließend war er ebenso wie Marx einige Jahre als Journalist tätig. Und das ist eine wichtige Botschaft des Films: Nur wer die Bedingungen des Prekariats, wie wir es heute nennen, kennt, kann darüber auch schreiben.

Wir brauchen keine „Eierköpfe“, die den Draht zur Arbeiterklasse verloren haben und abgehoben agieren, heißt es im Film. Nur wer den Unterprivilegierten ein glaubhaftes politisch-ideologisches Angebot macht, wird sie nicht an populistische Heilsverkünder verlieren. Marx und Engels wollen mit ihren Bestrebungen nicht wie Martin Luther sein, der „nach dem Abschlachten einer Religion eine neue intolerante gründete“, heißt es an einer entscheidenden Stelle. Auch hier dürfte es sich um eine autobiografische Reminiszenz von Raoul Peck handeln, hat er doch u. a. in Deutschland studiert und eine eigene Filmfirma, welche „Der junge Karl Marx“ mit produzierte, gegründet und lebt dort abwechselnd. Ebenso versteht sich die antirassistische Botschaft von selbst, wenn sich ein farbiger Regisseur mit dem „Sohn eines konvertierten Juden“, so eine Off-Stimme im Film, auseinandersetzt.

Wenngleich vieles bekannt ist über die Zusammenarbeit von Friedrich Engels und Karl Marx, ist Raoul Peck dafür zu danken, dass er in seinem Film Marx Ehefrau Jenny tatsächlich eine bedeutende Rolle spielen lässt. Sie ist emanzipiert, wiewohl aus bürgerlichem Haus, eine engagierte Kämpferin für die Anliegen der ausgebeuteten ArbeiterInnen und steuert einen wichtigen Beitrag zu den Schriften von Marx und Engels bei.

Dass der Film mit dem legendären Arbeiterklasse-Lied „Like a Rolling Stone“ aus den 60er-Jahren von Literaturnobelpreisträger Bob Dylan endet, ist das Sahnehäubchen auf diesem Leinwandwerk.

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