„Wir können nicht billiger sein, aber besser!“

Agnes Streissler-Führer; Mitglied der GPA-djp Bundesgeschäftsführung: "Technik und Technologie müssen den Menschen dienen und nicht umgekehrt." Foto: Michael Mazohl
Agnes Streissler-Führer; Mitglied der GPA-djp Bundesgeschäftsführung: „Technik und Technologie müssen den Menschen dienen und nicht umgekehrt.“ Foto: Michael Mazohl

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung und Agnes Streissler-Führer, Mitglied der GPA-djp-Bundesgeschäftsführung diskutieren über den Wirtschaftsstandort Österreich.

KOMPETENZ: Frau Streissler-Führer, wo liegen als Volkswirtin und Mitglied der Geschäftsführung der GPA-djp Ihre Prioritäten für den Wirtschaftsstandort Österreich?

Agnes Streissler-Führer: Die Prioritäten heißen Wissen, Fairness und Nachhaltigkeit. Österreich ist ein Qualitätsstandort, Wohlstand und Stabilität zeichnen uns aus. Wir können nicht billiger sein als die anderen, sondern wir wollen und können besser sein als die anderen. Das sollten wir weiter ausbauen. Im Bildungs-, Aus- und vor allem Weiterbildungssystem am Arbeitsmarkt müssen wir schauen, dass wir die Leute fit für die Zukunft machen. Dass die Unternehmen Aktivitäten setzen, um rechtzeitig zu qualifizieren und wirklich alle mitzunehmen, damit nicht im Nachhinein Kosten in der Arbeitsmarktpolitik entstehen.

In Bezug auf die soziale Stabilität sollen die Menschen das Gefühl haben, es geht fair zu in unserem Land. Es ist nicht fair, wenn die ArbeitnehmerInnen zunehmend weniger vom Kuchen bekommen, wenn untere Einkommensgruppen real weniger haben als obere und die Schere aufgeht, wenn Frauen noch immer weniger verdienen als Männer oder wenn Arbeitseinkommen stärker besteuert werden als Gewinne und Vermögen. Drittens müssen wir im Sinn der Nachhaltigkeit das materielle und immaterielle Vermögen, das wir uns als Gemeinschaft erworben haben, noch besser weiterentwickeln: Das betrifft Know-how ebenso wie Infrastruktur, wobei ich hier nicht nur Breitband meine, sondern auch Infrastruktur im Gesundheits- und Sozialbereich.

KOMPETENZ: Herr Neumayer, inwieweit können Sie sich als Generalsekretär der Industriellenvereinigung in den genannten Punkten wiedererkennen?

Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung: "Wir sind eine Hochlohnökonomie. Diese muss trotzdem darauf achten, dass sie effizient und effektiv ist." Foto: Michael Mazohl
Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung: „Wir sind eine Hochlohnökonomie. Diese muss trotzdem darauf achten, dass sie effizient und effektiv ist.“ Foto: Michael Mazohl

Neumayer: Österreich ist tendenziell ein guter Standort, hat aber in den vergangenen Jahren an Qualität verloren. Dies liegt einerseits an den Strukturen, wo wir uns fragen müssen: Wie leben wir den Föderalismus, wie gehen wir mit unserem Gesundheitssystem um, und ist unser Pensionssystem nachhaltig? Andererseits geht’s um kurzfristige Maßnahmen. Die Infrastruktur wurde angesprochen. Sie muss ausreichend Rückhalt etwa für den Breitband- und Glasfaserkabel-Ausbau bieten, damit unser Land mit den digitalen Veränderungen mithalten kann. Auch in der klassischen Infrastruktur gibt es einiges, wo es knirscht in letzter Zeit, beispielsweise bei der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat. Im Bildungsbereich müssen die Menschen fit gemacht werden gemeinsam mit den Unternehmen, um die großen Herausforderungen auch bewältigen zu können.

Der erste Bereich ist schwer zu heben angesichts der politischen Realität im Land, weil man teilweise auch selbst betroffen ist, sag ich ganz offen. Wir sind ein hochentwickelter Standort und eine Hochlohnökonomie. Diese muss trotzdem darauf achten, dass sie effizient und effektiv ist. Damit ist nicht Sozialabbau, sondern Treffsicherheit gemeint. Wir müssen die Mittel verstärkt in die Zukunft investieren, um auch unser Sozialsystem abzusichern.

KOMPETENZ: Soll etwa in der Weiterbildung mehr Verantwortung auf die Unternehmen abgewälzt werden?

Neumayer: Es ist eine geteilte Verantwortung. Die Summen, die die österreichischen Unternehmen für Weiterbildung ausgeben, können sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Wir haben nicht umsonst Weiterbildungsinstitutionen, die den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberorganisationen nahe stehen. Natürlich kommt es auf jeden Einzelnen an. Weiterbildung kann honoriert, bonifiziert und angeboten werden, ist aber am Ende eine persönliche Entscheidung.

KOMPETENZ: Wie stehen Sie zur angesprochenen Notwendigkeit von Strukturveränderung?

Streissler-Führer: Da kann man schon das eine oder andere hinterfragen. Unser föderales System in Österreich ist historisch gewachsen; es würde anders ausschauen, würde ich es jetzt auf der grünen Wiese entwerfen. Bei Verwaltungsreformen muss man nur aufpassen, weil damit unter Umständen auch Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Die Struktur und Treffsicherheit in Österreich könnten sicherlich verbessert werden, aber deswegen müssen wir nicht den öffentlichen Sektor oder das Niveau von Sozialleistungen insgesamt in Frage stellen.

Bei der Qualifikation haben wir das Matthäus-Prinzip „wer hat, dem wird gegeben“: Tendenziell gehen die ohnehin besser Gebildeten, die Jüngeren in Weiterbildungsaktivitäten. Ich wünsche mir, dass Unternehmen noch mehr Anreize setzen und vorausschauend darauf achten, breitere Gruppen mitzunehmen. Der jetzige Wandel ist nicht der erste in der Wirtschaftsgeschichte, sondern wir leben ständig in Veränderungen. Dafür brauchen wir „Change Management“, ein Veränderungsmanagement: Die Beschäftigten werden mit dem technologischen Wandel oft allein gelassen. Der kann aber nur funktionieren, wenn die Führungsverantwortung ausreichend wahrgenommen wird.

KOMPETENZ: Was kann man jenen Menschen mitgeben, die Angst vor Automatisierung und Jobverlust haben?

Streissler-Führer: Bisher gab es mehr Zuwächse durch den digitalen Wandel, laut Prognosen ist auch in den nächsten 15–20 Jahren mit keinen hohen Beschäftigungsverlusten zu rechnen. Aber zwischen den Branchen gibt es große Unterschiede. Manche wie der Handel oder die Finanzbranche sind massiv negativ betroffen, andere wie die Unternehmensberatung oder die Kommunikationsbranchen boomen. Diese Transformation muss in gemeinsamer Verantwortung begleitet werden.

Vor allem muss auf die Qualität der Arbeitsplätze geachtet werden. Wenn die Anzahl der Jobs gleich bleibt, heißt das nicht, dass auch ihre Qualität gleich bleibt. Arbeit wird zunehmend entgrenzter und unsicherer, und in Bezug auf Datenschutz sind „gläserne“ ArbeitnehmerInnen nicht unbedingt eine Vision, die jeder als angenehm empfindet.

Neumayer: Ich würde das unterstreichen wollen. Natürlich gibt es eine gewisse Furcht, auch bei Unternehmen ist die Herausforderung ebenso spürbar, für viele klassische Produktionsunternehmen hat sich schon in den vergangenen Jahrzehnten der Automatisierungsgrad massiv erhöht. Es geht aber auch um die Wertschöpfungskette, wo neue Geschäftsmodelle entstanden sind. Wir dürfen uns nicht fürchten, und wir dürfen die Entwicklung nicht verschlafen. Wir sollten mit Optimismus an die Sache herangehen: Im Rahmen von „Industrie 4.0“ investieren wir jährlich vier Milliarden Euro bis 2020. Das ist für Österreich eine Chance, Produktionen wieder ins Land zu holen. Im Normalfall sind das attraktive, hochqualitative Arbeitsplätze. Dazu sollten wir uns bekennen, wenn wir in Österreich eine Hochlohnökonomie und Soziale Marktwirtschaft der Zukunft haben wollen. Wenn wir’s klug machen, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass uns die Arbeit nicht ausgehen wird.

Streissler-Führer: Digitalisierung passiert. Wir müssen sie daher als Chance nützen. Wichtig ist, dass wir sie mitgestalten, und wir uns nicht einreden lassen, bestimmte Geschäftsmodelle mit Präkarisierung wären eine Notwendigkeit. Technik und Technologie müssen den Menschen dienen und nicht umgekehrt, und in diesem Sinn müssen wir die Wirtschafts- und Arbeitswelt der Zukunft gestalten.

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