Kommentar: Mehr als Existenz-Sicherung

Die Sozialpartnerverhandlungen zu einem flächendeckenden kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.500 Euro sind zäh. Nicht zuletzt, weil die Arbeitgeberseite ein besonders angsteinflößendes Schreckgespenst durch Österreichs Straßen jagt.

Mindestlohn von 1.500 Euro würde Arbeitsplätze kosten, da er für viele Betriebe nicht leistbar wäre und diese schließen müssten. Anstatt in Befürchtungen zu erstarren, sollte ein Blick auf vergleichbare Beispiele geworfen werden. Deutschland führte im  vergangenen Jahr einen gesetzlichen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro ein. Für das heurige Jahr wurde er sogar auf 8,84 Euro erhöht. Die Ängste im Vorfeld waren dieselben wie hierzulande. ÖkonomInnen prognostizierten einen Wegfall von Arbeitsplätzen. Ein Jahr nach der Einführung zog man das erste Resümee – der Mindestlohn kostete die Deutschen keine Arbeitsplätze. Und das war noch nicht alles, es wurden deutlich weniger prekäre Arbeitsverhältnisse verzeichnet, dafür gab es mehr Teilzeitbeschäftigungen. Viele Beschäftigte konnten also aus einer sehr unsicheren Arbeitssituation in ein Arbeitsverhältnis mit stabilem Gehalt, Anspruch auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wechseln. Die Einkommen der niedrigsten EinkommensbezieherInnen stiegen deutlich an.
Wie auch in Österreich finden sich darunter deutlich mehr Frauen als Männer wieder. Das führte dazu, dass doppelt so viele Frauen wie Männer vom Mindestlohn profitierten. Anders als in Deutschland ist zwar in Österreich die Abdeckung durch Kollektivverträge mit 98 Prozent sehr hoch und ein Mindestlohn per Gesetz daher nicht sinnvoll. Sehr wohl auch für Österreich gültig ist jedoch die Aussage, dass ein Mindestlohn besonders die Einkommenssituation von Frauen aktiv verbessert. Er senkt außerdem aufgrund der höheren Pensionsversicherungsbeiträge auch deutlich deren Risiko, später von Altersarmut betroffen zu sein. Die mehrheitlich weiblichen Beschäftigten bei Notariaten und in der Textilindustrie arbeiten bei Vollzeit nach wie vor für weniger als 1.500 Euro. Von einem höheren kollektivvertraglichen Mindestlohn würden sie nicht nur aus finanzieller Sicht profitieren, worum es nämlich allgemein im Niedriglohnsektor auch geht, ist Würde durch Anerkennung. Das Lob eines/r Vorgesetzten ist eben nicht alles. Wer jedes Monat Sorgen hat seine Rechnungen bezahlen zu können, während der Nachbar jedes Jahr zwei Wochen an einem weißen Sandstrand verbringt, fühlt sich – mit Recht – ungleich behandelt und in seinem Wert für die Gemeinschaft weniger anerkannt.
Der Mindestlohn kann mehr als nur eine Existenz sichern. Er schafft Anerkennung und leistet schlussendlich einen Beitrag zur Gleichstellung der Frau. In vielen unserer Kollektivverträge konnten wir in den jüngsten Verhandlungen die Mindestgehälter nicht nur auf über 1.500 Euro, sondern sogar auf 1.700 Euro anheben. Bei 1.500 Euro ist für uns jedenfalls sicher nicht Schluss – wir kämpfen weiterhin für die Erreichung von 1.700 Euro in all unseren Kollektivverträgen. Denn das und nicht weniger haben sich die Beschäftigten verdient.

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