Arbeitsrecht: Allzeit bereit, ständig gestresst

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Der technische Fortschritt erleichtert uns den Arbeitsalltag. Es spart Zeit, wichtige E-Mails via Smartphone auch mal in der U-Bahn abzurufen oder Fakten mittels mobilem Internet auch abseits des Arbeitsplatzes checken zu können. Doch Flexibilität und ständige Erreichbarkeit drängen viele Beschäftigte immer stärker in die Belastungsfalle. Allzeit erreichbar und dauernd einsatzbereit zu sein stresst die Menschen und belastet die Gesundheit.

„Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen immer stärker“, bringt Wolfgang Katzian die Problematik auf den Punkt. Entgrenzte Arbeit ist für den Vorsitzenden der GPA-djp längst kein Phänomen des gehobenen Managements mehr, sondern hat bereits die breite Masse der ArbeitnehmerInnen erfasst: „Durch die ständige Erreichbarkeit über Handy und Smartphone entsteht eine zunehmend belastende Arbeitssituation für die Menschen. Viele verspüren einen ständigen Druck den Posteingang zu kontrollieren, denn es könnte sich ja ein wichtiges Mail mit dringender Arbeit darin finden.“ Neue Managementmethoden, die dem einzelnen mehr Eigenverantwortung zugestehen, können diese Belastung noch verstärken. „Der Dauereinsatz führt zu zunehmendem Druck quer durch alle Branchen und zu verstärktem Auftreten von Burn-out“, weiss Katzian aus den Beratungsgesprächen der GPA-djp und dem Arbeitsklima-Index.

Die Fakten geben Katzian Recht: laut einer deutschen Studie sind 88 Prozent der ArbeitnehmerInnen auch außerhalb ihrer Arbeitszeit für KundInnen, KollegInnen und Vorgesetzte erreichbar. Vor zwei Jahren waren es noch 73 Prozent – ein Plus von 15 Prozent! Knapp ein Drittel, nämlich 29 Prozent der Beschäftigten, sind jederzeit erreichbar. Jeder zweite gibt an, selbst im Urlaub täglich zu arbeiten. Lediglich 15 Prozent sind nur in Ausnahmefällen erreichbar. „Hier besteht akuter Handlungsbedarf“, fordert Katzian klarere Regelungen zur Erreichbarkeit von ArbeitnehmerInnen während der Freizeit.

Auch die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will eine klarere Trennung zwischen Arbeitszeit und Privatleben. Ihr Vorschlag: keine Mails mehr nach Feierabend und klare Grundsätze seitens der Unternehmen, zu welchen Uhrzeiten ihre Beschäftigten erreichbar sein müssen. Der deutsche VW-Konzern hat diese Gedanken bereits vorbildhaft umgesetzt; 30 Minuten nach Arbeitsende werden keine E-Mails mehr auf die Smartphones der MitarbeiterInnen weitergeleitet.

Klare Regeln der Erreichbarkeit 

Ist die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit also eine zentrale Aufgabe des ArbeitnehmerInnenschutzes, die der Arbeitgeber leisten muss? „Ja, denn es ist eine Frage der Unternehmenskultur, dass die MitarbeiterInnen ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr belastet werden“, meint Clara Fritsch, Mitarbeiterin der Abteilung Arbeit und Technik in der GPA-djp und Autorin der Broschüre „Allzeit bereit“. Daher müssten Zeiten der Rufbereitschaft – denn darum handelt es sich ja letztendlich – in Betriebsvereinbarungen geregelt und auch finanziell abgegolten werden.

In der Praxis lösen sich die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit meist schleichend auf. Zunächst schätzen viele ArbeitnehmerInnen den höheren Grad an Eigenverantwortung, wenn es bei Projekten um eine rechtzeitige Abgabe geht und nicht jeder Arbeitsschritt extra kontrolliert wird. Die MitarbeiterInnen engagieren sich, nutzen die moderne Technik, zeigen Einsatz – und sind dann irgendwann ausgelaugt von der ständigen Einsatzbereitschaft.

Viele Arbeitgeber nehmen den „freiwilligen“ Mehreinsatz gerne an, solange alles reibungslos funktioniert. Sobald es zu Überlastungserscheinungen kommt, wird die gesamte Verantwortung gerne zu den MitarbeiterInnen, auf eine gänzlich individuelle Ebene, verschoben. „Dabei geht es aber nicht alleine darum, sich die Zeit besser einzuteilen, wie man so oft von Arbeitgeberseite hört“, betont Fritsch.

Denn die Entgrenzung spielt sich auf mehreren Ebenen ab: Einerseits geht es um das Betriebsklima, also die soziale Ebene. Dabei ist es ganz wichtig, was die KollegInnen tun. Je nach Betriebskultur gibt es einen unterschwelligen Druck zur ständigen Erreichbarkeit oder eben gelebten Mut zur Abgrenzung. Eine weitere Ebene sind festgelegte betriebliche Regelungen, also Strukturen im Betrieb, die aber auch nach den Bedürfnissen der MitarbeiterInnen geändert werden müssten.

Verteilung der Arbeit

Eine zentrale Bedeutung hat für Fritsch die Frage, wie Arbeit in einem Unternehmen verteilt wird. Dort passiert die Ressourcenplanung und dort liegen oftmals schon die Fehler für eine chronische Überlastung der MitarbeiterInnen. „Manchmal findet man schon in den Zielvereinbarungen verschriftlichte Parameter dafür, dass die MitarbeiterInnen ständig einsatzbereit sein sollten“, erklärt Fritsch. Die Ziele sind zu hoch gegriffen, die Leistungsspirale wird in vielen Fällen jedes Jahr noch höher geschraubt. Dieser Druck bedingt bei vielen MitarbeiterInnen das Gefühl, ständig einsatzbereit sein zu müssen und dennoch nie mit der Arbeit fertig werden zu können. Überforderung und Ohnmachtsgefühle sind die Folge – und das macht erwiesenermaßen krank.

Auch ein zu hohes Maß an Eigenverantwortung kann sich schädlich auf die Gesundheit auswirken. Denn je mehr Eigenverantwortung ArbeitnehmerInnen bei flexiblen Arbeitsleistungen übernehmen, desto geringer wird das subjektive Bedürfnis nach Erholung – obwohl es aus gesundheitlicher Sicht längst notwendig wäre. Auch All-in Verträge, Überstundenregelungen und Konkurrenzdruck unter den KollegInnen verleiten zur Verlagerung der Arbeitszeit in die Freizeit hinein. Abgrenzen kann man sich am besten durch klare, auch individuell ausgemachte Vereinbarungen mit dem Dienstgeber, zu welchen Zeiten Mailbox und Posteingang abgerufen werden müssen und wie rasch auf elektronische Post reagiert werden sollte.

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