Unbezahlte Arbeitszeit

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Im Vorjahr fielen insgesamt mehr als 68 Millionen unbezahlte Arbeitsstunden an. Die Kompetenz sprach mit WIFO-Expertin Ulrike Famira-Mühlberger über die Ursachen und Auswirkungen unbezahlter Überstunden.

Kompetenz: Wer leistet die meisten unbezahlten Überstunden?

Famira-Mühlberger: Zwei Drittel der unbezahlten Überstunden werden von Angestellten erbracht. Gefolgt von den Beamten und Vertragsbediensteten mit gut einem Fünftel und den ArbeiterInnen mit zirka einem Achtel.

Kompetenz: Wer ist am stärksten betroffen?

Famira-Mühlberger: Beamte und Vertragsbedienstete sind am  stärksten betroffen: Rund elf Prozent leisten unbezahlte Überstunden. Bei den Angestellten sind rund sieben Prozent betroffen, bei den ArbeiterInnen zwei Prozent. Durch die Krise hat sich die Anzahl der unbezahlten Überstunden seit 2005 jedoch halbiert.

Kompetenz: In welchen Branchen ist der Druck zur unbezahlten Arbeit besonders hoch?

Famira-Mühlberger: Die meisten unbezahlten Überstunden werden im Bereich Erziehung und Unterricht erbracht – gefolgt vom Handel.

Kompetenz: Erkennen Sie eine Tendenz, welches Geschlecht häufiger Überstunden leistet?

Famira-Mühlberger: Unter den unselbständig Beschäftigten leisteten im Jahr 2012 rund sechs Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen unbezahlte Überstunden. Allerdings zeigt sich, dass die von Frauen geleisteten Überstunden eher unbezahlt bleiben. Männer arbeiten im Durchschnitt pro Woche 2,5 Stunden mehr als vereinbart, eine halbe Stunde davon unentgeltlich. Frauen arbeiten mehr als eine Stunde pro Woche über das vereinbarte Arbeitsausmaß hinaus. Zirka ein Drittel dieser Arbeitsleistung bleibt unbezahlt.

Kompetenz: Welche Auswirkungen haben unbezahlte Überstunden auf ArbeitnehmerInnen?

Famira-Mühlberger: Unbezahlte Mehrleistungen haben einerseits den Nachteil, dass sozialrechtliche Ansprüche der Menschen verloren gehen – diese Arbeitszeiten werden zum Beispiel bei der Berechnung von Arbeitslosengeld und Pension nicht berücksichtigt. Andererseits können regelmäßige Überstunden die so genannte „Work-life Balance“ negativ beeinflussen. Menschen, die über längere Zeit hinweg sehr viel arbeiten, haben zu wenig Zeit, um sich zu regenerieren. Das kann auf Kosten der Gesundheit gehen

Kompetenz: Sehen Sie Nachteile für Frauen?

Famira-Mühlberger: In der heutigen Arbeitswelt findet der berufliche Aufstieg sehr häufig über verstärkten zeitlichen Einsatz statt. Da Männer meist weniger familiäre Versorgungsarbeit leisten, können sie eher Überstunden erbringen als Frauen. Im internen Konkurrenzdruck sind Frauen Männern oft unter anderem deswegen unterlegen. Das ist mit ein Grund dafür, dass es für Frauen immer noch schwierig ist, in höhere Managementpositionen zu kommen.

Kompetenz: Wie erklären Sie sich das Phänomen der unbezahlten Überstunden?

Famira-Mühlberger: Für die ArbeitgeberInnen liegen die Vorteile auf der Hand: die Kosten des Faktors Arbeit werden verringert, wenn ein Teil der Arbeitsleistung unbezahlt gemacht wird. So wird die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes gestärkt.

Kompetenz: Aber warum machen die ArbeitnehmerInnen da mit?

Famira-Mühlberger: Deutsche Untersuchungen zeigen, dass unbezahlte Überstunden einen Investitionscharakter aufweisen: Beschäftigte, die unbezahlte Überstunden leisten, haben in der Folge höhere Löhne. Außerdem zeigt sich, dass die Leistung von unbezahlten Überstunden in einem Zusammenhang mit der regionalen Arbeitslosigkeit steht: Unbezahlte Mehrstunden werden also auch deshalb erbracht, um den eigenen Arbeitsplatz besser abzusichern.

Kompetenz: Werden hier nicht die Ängste der Beschäftigten dazu missbraucht, um die Arbeitsleistung zu erhöhen?

Famira-Mühlberger: Ich glaube nicht, dass unbezahlte Überstunden notwendigerweise aus einem Angst-Motiv heraus geleistet werden. Natürlich kann – wie schon angesprochen – eine hohe Arbeitslosigkeit in der Region den Druck erhöhen, unbezahlte Arbeit zu leisten. Andererseits sind vor allem höher Gebildete und damit höher Entlohnte von unbezahlten Überstunden betroffen.

Kompetenz: Worin sehen Sie die Gründe dafür?

Famira-Mühlberger: Diese Personen weisen meist eine starke Identifikation mit ihrer Arbeit auf und arbeiten ergebnisorientiert in interessanten Tätigkeitsfeldern. Aber natürlich ist in vielen Betrieben klar: wer weiter kommen will, muss auch unbezahlten Einsatz zeigen. Das Argument: „Mein Arbeitsumfang ist mir zu viel, ich brauche Unterstützung“ ist meist nicht karrierefördernd.

Kompetenz: Sind unbezahlte Überstunden ein Österreich-Spezifikum?

Famira-Mühlberger: Natürlich spielt die Arbeitskultur eines Landes eine Rolle. Eine Bekannte von mir hat einmal in Dänemark gearbeitet und wurde von ihrer Chefin gefragt, ob sie zu Hause Probleme hätte, weil sie oft nach 18 Uhr noch im Büro sei. In Großbritannien hingegen wird erwartet, dass Mitarbeiter – oft auch unbezahlt – lange Zeit im Büro bleiben.

Ulrike Famira-Mühlberger ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) mit den Forschungsschwerpunkten Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit.

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