Brauchen wir ein neues Arbeitszeitgesetz?

Ein Streitgespräch von GPA-djp-Bundesgeschäftsführerin Dwora Stein mit Lothar Roitner, dem Geschäftsführer des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI). Foto: Nurith Wagner-Strauss
Ein Streitgespräch von GPA-djp-Bundesgeschäftsführerin Dwora Stein mit Lothar Roitner, dem Geschäftsführer des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI). Foto: Nurith Wagner-Strauss

Unternehmer wollen das Arbeitszeitgesetz für mehr Flexibilisierung aufschnüren. Von Gewerkschaftsseite gibt es dazu ein klares Nein. Ein Streitgespräch von GPA-djp-Bundesgeschäftsführerin Dwora Stein mit Lothar Roitner, dem Geschäftsführer des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI).

KOMPETENZ: Unternehmer fordern Arbeitszeitflexibilisierung, Gewerkschaften stehen naturgemäß auf der Bremse. Sind noch flexiblere Arbeitszeiten logische Folge der Digitalisierung – oder braucht es hier keine Änderungen? Wie stehen Sie dazu?

Stein: Im Moment ist ja der Ruf der Arbeitgeber nach flexibleren Arbeitszeiten wieder sehr laut. Das Arbeitszeitgesetz muss komplett neu geschrieben werden, heißt es – ich glaube, das stammt sogar von Ihnen, Herr Dr. Roitner.

Roitner: Ja, das stimmt.

Stein: Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich das nicht so sehe. Das Arbeitszeitrecht, die Kollektivverträge bieten unglaublich viele Möglichkeiten, Arbeitszeiten flexibel zu gestalten. Ich würde sehr dafür plädieren, erst einmal die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen, bevor man weitere Flexibilisierungsschritte setzt.

Ein weiterer Punkt ist, dass derzeit im Raum steht, dass flexible Arbeitszeiten mehr Arbeitsplätze bringen. Wie das gehen soll, weiß ich überhaupt nicht. Wenn man Arbeitsplätze schaffen will, dann muss man die Arbeitszeit verkürzen.

Roitner: Ja, wir sind für Flexibilisierung, weil wir glauben, dass es im Interesse der Arbeitgeber, aber auch der Arbeitnehmer ist. Stichwort: mehr Freizeit. Laut Umfragen wandeln Arbeitnehmer Überstunden am liebsten in Freizeit um. Die heutigen Technologien ermöglichen darüber hinaus eine flexiblere Einteilung als früher. Wenn heute eine Mutter mit einem kleinen Kind, das sich am Morgen nicht wohl fühlt, an dem Tag zu Hause arbeiten will, ist das eine Flexibilisierung im Sinne der Arbeitnehmerin. Das Arbeitszeitgesetz wird jetzt bald 50 Jahre alt. Es hat zwar ein paar Novellierungen erlebt, aber wir leben heute in einer völlig anderen Arbeitswelt. Deshalb meine Forderung, man sollte das Gesetz neu schreiben. Das heißt ja nicht, dass man nicht dort, wo es Schutzbestimmungen geben muss und soll, diese aufrechterhält. Mir geht es darum, Überbürokratisierungen herauszunehmen und Flexibilisierung zuzulassen. Diese brauchen die Unternehmer: Wenn heute ein Auftrag hereinkommt, muss fünf Tage später das Produkt geliefert werden. Dann wieder passiert drei Wochen nichts.

Stein: Ich bin überzeugt, dass alles, was Sie jetzt an Notwendigkeiten genannt haben, auf Basis des bestehenden Arbeitszeitrechts und der Kol­lektiv­ver­trä­ge möglich ist. Es klingt sehr schön, dass auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich dann aussuchen können, wann sie arbeiten. In der Realität ist es aber meistens nicht so. Und neben einem kranken Kind arbeiten zu müssen, ich weiß nicht, ob das ein Idealzustand ist.

Roitner: Ich teile die Meinung nicht, dass alles schon möglich ist, weil es Höchstgrenzen der Arbeitszeit gibt. Das Arbeitszeitgesetz stammt eben aus einer ganz anderen Epoche. Wenn heute Menschen, die kreativ arbeiten – Ideen haben, forschen –, warum sollen sie nicht 13 Stunden arbeiten? Aus meiner Sicht gibt es in einem solchen Fall auch kein Schutzbedürfnis.

Stein: 13 Stunden lang kreativ zu sein, ich kann es mir nicht vorstellen.

Wird hier nicht eine kleine Gruppe von ArbeitnehmerInnen vorgeschoben, um das Arbeitszeitgesetz aufzuschnüren?

Roitner: Ich kenne ein Unternehmen, in dem Tausende Entwickler und Software-Profis arbeiten. Wenige sind das in unserem Bereich nicht. Und Start-ups kommen natürlich auch dazu.

Stein: Der Punkt ist, natürlich gibt es eine kleine Gruppe von ArbeitnehmerInnen, die meint, ich kann alles, ich kann auch 24 Stunden durcharbeiten. Das kann man vielleicht auch – ganz kurz. Was dazukommt: Das sind Selbstausbeuter, die man auch oft vor sich selbst schützen muss. So lange Arbeitszeiten stehen für mich auch im Widerspruch zu einem anderen gesellschaftlichen Ziel, nämlich, dass wir später in Pension gehen sollen. Dazu müssen wir gesund bleiben.

Roitner: Man muss davon ausgehen, dass das nicht der Normalfall wäre und die Leute das nicht jeden Tag tun. Es geht nur um Situationen, in denen es notwendig ist oder wenn es jemand möchte.

KOMPETENZ: Wie wollen Sie aber nun die Flexibilität des Arbeitnehmers mit dem Wunsch an Flexibilität seitens des Arbeitgebers konkret miteinander vereinbaren?

Roitner: Ich glaube, es ist möglich, das unter einen Hut zu bekommen. Wenn man sich Befragungen von Beschäftigten ansieht, ist immer wieder ein großer Wunsch von Arbeitnehmern mehr Freizeit. Wir haben vor ein paar Jahren die Freizeitoption in unseren Kollektivvertrag aufgenommen, was auf sehr positive Resonanz gestoßen ist. Man bekommt statt der Lohn- und Gehaltserhöhung Freizeit im Verhältnis eins zu eins. Das ist eine Win-win-Situation.

KOMPETENZ: Die tatsächliche Arbeitszeit richtet sich dann aber doch vorrangig nach den Bedürfnissen der Unternehmen.

Roitner: Nicht ausschließlich. Eine Umfrage hat gezeigt, dass der Großteil der Arbeit

nehmer Einfluss auf Arbeitszeiten und Überstunden nehmen kann. Und nehmen Sie die bestehenden Gleitzeitsysteme. In unserer Branche haben rund 80 Prozent der Angestellten oder mehr eine Gleitzeitregelung.

Das ist im Prinzip genau die gleiche Situation, einmal mehr arbeiten und einmal weniger. Und ich meine, die totale Autonomie des Arbeitnehmers kann es nicht geben – sonst muss man Unternehmer oder selbstständig werden. Es ist letzten Endes ein gemeinsamer Weg von Arbeitgebern und Arbeitnehmern und im Bereich Gleitzeit funktioniert das perfekt.

Stein: Das bestätigt, was ich vorhin gesagt habe: es funktioniert. Die Gestaltungsmöglichkeiten gibt es, und daher braucht es da aus meiner Sicht keine weitere Flexibilisierung.

Roitner: Aber die Höchstarbeitszeitgrenzen müssen verändert werden.

Stein: Auch bei den Höchstarbeitszeitgrenzen gibt es Möglichkeiten, aber das kostet etwas. Und so soll es auch bleiben.

Roitner: Das ist jedoch mit allen möglichen bürokratischen Hindernissen verbunden. Und anschließend kommen die Arbeitsinspektoren …

Stein: … ja, weil es ja auch Ausnahmen sein sollen …

Roitner: … und jede Minute wird überprüft und die Geschäftsführer sind halb im Kriminal. Das ist anachronistisch aus meiner Sicht.

Stein: Technische Möglichkeiten erleichtern heute die Arbeitszeitaufzeichnungen, so bürokratisch ist das nicht mehr. Ich bleibe dabei: Durch diese Forderung will man sich einfach auf Kosten der ArbeitnehmerInnen etwas ersparen.

Roitner: Worum es geht, ist, dass ich letzten Endes als Industrieunternehmen einem extremen Wettbewerbsdruck ausgesetzt bin. Unsere Branche exportiert 80 Prozent ihrer Waren und Leistungen in die ganze Welt. Wir sind auf Märkten aktiv, in denen es hart auf hart geht. Und wir befinden uns teilweise auch un­ter­neh­mens­in­tern in einem Standortwettbewerb, wenn es darum geht, an welchen Standorten wird investiert und an welchen nicht. Je flexibler man agieren kann, desto mehr Produktion und desto mehr Wertschöpfung werden an diesem Standort stattfinden.  l

Moderation: Alexia Weiss

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